Neue Pflegereform 2023: Entlastung für Pflegebedürftige?

Teure Pflegeleistungen, leere Pflegekassen: Mit der neuen Pflegereform 2023 will Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) grundlegende Probleme der gesetzlichen Pflegeversicherung angehen. Die Finanzierung der Pflegekassen soll stabilisiert und Pflegebedürftige sowie deren Angehörige entlastet werden. Dazu hat der Bundestag am 26. Mai 2023 das Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz (PUEG) verabschiedet. Doch schon jetzt wird diskutiert, ob die Reformmaßnahmen überhaupt ausreichen, um die Pflegesituation in Deutschland grundlegend und langfristig zu verbessern. Welche konkreten Maßnahmen die neue Pflegereform 2023 beinhaltet und wie sich die Änderungen auf Pflegebedürftige und ihre Angehörigen auswirken, lesen Sie in diesem Beitrag.

Warum ist die Pflegereform 2023 überhaupt notwendig?

Rückblick

Seit der Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung 1994 wurden die Beiträge 14 Jahre lang nicht angepasst, was zu einem allgemein Finanzierungsproblem des Pflegesystems führte. Mit den Pflegereformen 2008, 2015/2017 und 2022 wurden die Beitragssätze stetig erhöht (+ Beitragszuschlag 2019) und die Pflegeleistungen ausgedehnt. 2017 wurde die Definition der Pflegebedürftigkeit überarbeitet, wodurch eine Ermittlung des Pflegebedarfs von Pflegebedürftigen (ab 2017 auch Demenzkranke) genauer und umfangreicher erfolgen konnte.

Gegenwärtige Herausforderungen 

Aufgrund des demographischen Wandels steigt die Zahl älterer, pflegebedürftiger Menschen zunehmend, während die Anzahl beitragszahlender Mitglieder der gesetzlichen Pflegeversicherung sinkt. Hinzu kommen steigende Pflegekosten aufgrund von Wirtschafts- und Finanzkrisen sowie ein Fachkräftemangel in der Pflege. Die Folge ist, dass die gesetzliche Pflegeversicherung die Leistungen für ambulante und stationäre Pflege nicht vollständig übernimmt und Pflegebedürftige einen Eigenanteil selbst tragen müssen. Um die hohen Kosten aufzufangen, wird die Pflege oftmals durch die Familie übernommen, was bei pflegenden Angehörigen nicht selten zu einer Überlastung im Alltag führt.

Die Pflegesituation in Deutschland ist daher seit Jahren gekennzeichnet durch:

  • steigenden Kosten in der ambulanten sowie stationären Pflege
  • leere Pflegekassen
  • Fachkräftemangel
  • Überlastung pflegender Angehöriger

Was sind die Ziele von Gesundheitsminister Lauterbach und der Pflegereform 2023?

Gesundheitsminister Lauterbach legt mit der neuen Pflegereform 2023 ein Konzept zur Finanzstabilisierung des Pflegesystems vor, das Leistungsanpassungen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen ab dem 1. Januar 2024 sowie ab dem 1. Januar 2025 beinhaltet. Vor allem die häusliche und die ambulante Pflege sollen nachhaltig gestärkt werden, denn laut statistischem Bundesamt werden vier von fünf Pflegebedürftigen zu Hause versorgt. Dem Grundsatz „Pflege zu Hause stärken, Leistungen verbessern, finanzielle Belastungen begrenzen“ entsprechend, gelte es, die Situation folgender Gruppen im Bereich der Pflege zu unterstützen:

  • Pflegebedürftige
  • Pflegende Angehörige
  • Familien mit Kindern
  • Beruflich Pflegende

Was ändert sich durch die Pflegereform 2023?

Das Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz sieht vor, die gesetzliche Pflegeversicherung in zwei Phasen zu reformieren.

Phase 1

Zunächst werden ab dem 1. Juli 2023 die allgemeinen Beiträge für die gesetzliche Pflegeversicherung erhöht. Damit werden die Leistungsanpassungen ab dem 1. Januar 2024 finanziert und die gesetzliche Pflegeversicherung allgemein stabilisiert. Familien mit Kindern sollen im Zuge der Beitragserhöhung entlastet werden.

Die neue Beitragsstruktur ab dem 1. Juli 2023 sieht wie folgt aus:

  • Anhebung allgemeiner Beitragssatz um 0,35 Prozentpunkte auf 4 Prozent (Kinderlose)
  • Der Arbeitgeberanteil (AG-Anteil) des allgemeinen Beitragssatzes beträgt immer 1,7 Prozent.
  • Allgemeiner Beitragssatz Mitglieder mit 1 Kind = 3,4 Prozent, Arbeitnehmer-Anteil (AN-Anteil) = 1,7 Prozent, lebenslang
  • Ab dem 2. Kind Senkung des allgemeinen Beitragssatzes um 0,25 Prozentpunkte je Kind bis zum 5. Kind bis zum Ende der Erziehungsphase (25. Lebensjahr, danach wie Mitglieder mit 1 Kind)
    • Beispiel 2 Kinder = 3,15 Prozent (AN-Anteil = 1,45 Prozent)
    • Beispiel 5 Kinder und mehr = 2,40 Prozent (AN-Anteil = 0,7 Prozent)

Die wichtigsten Leistungsanpassungen ab dem 1. Januar 2024 für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen betreffen folgende Bereiche:

  • Pflegegeld
  • Ambulante Sachleistungen
  • Pflegeunterstützungsgeld
  • Verhinderungs- und Kurzzeitpflege
  • Familien mit pflegebedürftigen Kindern
  • Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen für pflegende Angehörige

Pflegegeld und ambulante Sachleistungen

Um die häusliche Pflege zukünftig noch mehr zu stärken, wird das Pflegegeld ab dem 1. Januar 2024 um
5 Prozent erhöht. Derzeit erhalten Pflegebedürftige je nach Pflegegrad zwischen 316 und 901 Euro monatlich, um pflegende Angehörige oder Helfer für deren Aufwand entschädigen zu können. Gleichzeitig werden auch die Sachleistungen bei Inanspruchnahme eines ambulanten Pflegedienst um 5 Prozent erhöht. 

Pflegeunterstützungsgeld

Das Pflegeunterstützungsgeld dient Angehörigen von Pflegebedürftigen dazu, um in einer akuten Pflegesituation ihrer Arbeit fern bleiben zu können, damit eine bedarfsgerechte Pflege gesichert werden kann. Bisher konnten pflegende Angehörige das Pflegeunterstützungsgeld einmalig pro pflegebedürftige Person für bis zu 10 Tage beantragen. Ab dem 1. Januar 2024 wird diese Regelung ausgeweitet auf 10 Tage pro Kalenderjahr und pro pflegebedürftigem Angehörigen.

Verhinderungs- und Kurzzeitpflege

Um pflegende Angehörige zu entlasten, gibt es die Möglichkeit, Pflegebedürftige in eine vollstationäre Verhinderungs- oder Kurzzeitpflege zu übergeben. Ab dem 1. Juli 2025 wird für beide Pflegesituationen ein Gesamtbetrag von bis zu 3.539 Euro jährlich bereitgestellt, der flexibel genutzt werden kann. Zusätzlich gilt sowohl für die Verhinderungs- als auch die Kurzzeitpflege eine neue zeitliche Höchstdauer von 8 Wochen pro Kalenderjahr. Weiterhin entfällt der Nachweis einer sechsmonatigen Vorpflegezeit. Die Leistungen können dementsprechend ab einer Einstufung in Pflegegrad 2 umgehend genutzt werden.

Familien mit pflegebedürftigen Kindern

Durch die besondere Belastung von Eltern pflegebedürftiger Kinder und Jugendlicher werden die Leistungsanpassungen zur Verhinderungs- und Kurzzeitpflege hier bereits ab dem 1. Januar 2024 gelten.

Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen für pflegende Angehörige

Für pflegende Angehörige wird die Inanspruchnahme von Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen zukünftig erleichtert, indem die Möglichkeiten erweitert werden, Pflegebedürftige in der Rehabilitationseinrichtungen der Pflegeperson ebenfalls aufzunehmen.

 

Phase 2

Im Zuge einer Dynamisierung werden in einem zweiten Schritt ab dem 1. Januar 2025 alle Leistungsbeträge der Pflegeversicherung für die häusliche, ambulante, teil- und vollstationäre Pflege um 4,5 Prozent angehoben.


Wissenswertes: Kritik an der Pflegereform 2023

Die Pflegereform 2023 wird hauptsächlich deswegen kritisiert, weil ein geeignetes Finanzierungssystem für die steigenden Pflegekosten und eine langfristige Stabilisierung der Pflegekassen fehlt. Es sei zum Beispiel auch die Forderung nach einer Pflicht zur Pflegezusatzversicherung nicht berücksichtigt worden. Besonders Wohlfahrtsverbände sehen die Erhöhung des Pflegegeldes und der ambulanten Sachleistungen in Relation zur hohen Inflation als zu niedrig an. Pflegebedürftige mit niedrigem Einkommen seien weiterhin durch den hohen Eigenanteil an den Pflegekosten belastet. Selbst Finanzminister Lauterbach räumt ein, dass er sich mehr Verbesserungen gewünscht habe und kündigt für das kommende Jahr ein Konzept für eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung an.


Wie wirkt sich die Pflegereform 2023 auf den Eigenanteil für Pflegekosten aus?

Im Zuge der neuen Pflegereform 2023 sollen die Leistungszuschläge für Pflegebedürftige ab dem Pflegegrad 2 erhöht werden. Leistungszuschläge zahlt die Pflegekasse an Pflegebedürftige in vollstationären Pflegeeinrichtungen und beteiligt sich damit am Eigenanteil, den Heimbewohner zuzahlen müssen. Die Höhe der monatlichen Leistungszuschläge variiert je nach Verweildauer der pflegebedürftigen Person in der vollstationären Pflegeeinrichtung. Ab dem 1. Januar 2024 erhöhen sich die Leistungssätze bei 0 - 12 Monaten Verweildauer von 5 Prozent auf 15 Prozent, bei 13 - 24 Monaten von 25 Prozent auf 30 Prozent, bei 25 - 36 Monaten von 45 Prozent auf 50 Prozent und bei mehr als 36 Monaten von 70 Prozent auf 75 Prozent.

Allerdings beziehen sich die Leistungszuschläge auf die Kosten für pflegebedingte Aufwendungen, nicht aber auf die Kosten für Unterkunft, Verpflegung oder Investitionskosten der Einrichtung, die auf die Heimbewohner umgelegt werden.

 

Zusammengefasst:
Die neue Pflegereform 2023: Entlastung für Pflegebedürftige?

  • Mit der neuen Pflegereform 2023 soll die Finanzierung der gesetzlichen Pflegeversicherung stabilisiert und Pflegebedürftige sowie deren Angehörige entlastet werden
  • Ab dem 1. Juli 2023 wird der allgemeine Beitragssatz um 0,35 Prozentpunkte erhöht (Kinderlose = 4 Prozent). Familien mit Kindern erwartet eine nach Anzahl der Kinder differenzierte Beitragsentlastung.
  • Besonders die häusliche und die ambulante Pflege stehen im Mittelpunkt der Reformmaßnahmen. Daher werden das Pflegegeld sowie ambulante Sachleistungen ab dem 1. Januar 2024 um jeweils
    5 Prozent erhöht. Weitere Leistungsanpassungen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen betreffen folgende Bereiche:
    • Pflegeunterstützungsgeld
    • Verhinderungs- und Kurzzeitpflege
    • Familien mit pflegebedürftigen Kindern
    • Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen für pflegende Angehörige
  • Die Zuzahlung der gesetzlichen Pflegeversicherungen bei vollstationärer Pflege (Leistungszuschlag) steigt ab dem 1. Januar 2024. Der Eigenanteil an pflegebedingten Aufwendungen wird dadurch je nach Verweildauer in einer vollstationären Unterbringung finanziell stärker unterstützt.
  • Ab dem 1. Januar 2025 werden alle Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung für die häusliche, ambulante, teil- und vollstationäre Pflege um 4,5 Prozent erhöht.
  • Kritiker der neuen Pflegereform 2023 mahnen an, dass die Maßnahmen nur einen kurzweiligen Effekt haben und Pflegebedürftige sowie deren Angehörige nicht ausreichend entlastet werden. Die Leistungsanpassungen reichen nicht aus, um zum Beispiel allgemeine Kostenerhöhungen durch Inflation auszugleichen. Eine langfristige Lösung zur finanziellen Stabilisierung des Pflegesystem fehlt weiterhin.

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