Wenn Mama immer häufiger vergisst, den Herd auszuschalten oder Papa nach dem Schlaganfall im Rollstuhl sitzt: Die eigenen Eltern beim Älterwerden zu beobachten und den zunehmenden Verlust ihrer Selbstständigkeit und Gesundheit zu sehen, kann eine große Belastung sein. Wenn der Pflegefall dann eintritt und die Eltern auf Unterstützung angewiesen sind, stellt sich die Frage, ob man die Pflege der Eltern selbst übernehmen muss oder eine externe Pflege organisiert werden kann. Die Entscheidung ist nicht einfach – sowohl emotional als auch finanziell. Welche Pflichten, aber auch Rechte Kinder haben, wenn es um die Pflege der Eltern geht und wie Unterstützung bei der Pflege der Eltern aussehen kann, zeigen wir Ihnen in diesem Beitrag.
Muss ich meine Eltern pflegen?
Das Risiko der Pflegebedürftigkeit steigt mit zunehmendem Alter. Da immer mehr Menschen ein hohes Alter erreichen, stehen viele Familien vor der Frage, wie die Pflege eines nahen Angehörigen organisiert werden kann. Mit dieser Frage müssen sich besonders Kinder auseinandersetzen, wenn es um die Pflege der Eltern geht.
Gesetzliche Pflicht
In Deutschland gibt es keine gesetzliche Pflicht zur Pflege eines nahen Angehörigen. So muss ich zum Beispiel als Kind meine Eltern nicht pflegen, wenn ich das nicht will oder kann. Dadurch ist nicht nur das Kind, sondern auch der pflegebedürftige Elternteil vor einer unzureichenden Pflegesituation geschützt, wie sie etwa durch Scham oder ein gestörtes Familienverhältnis entstehen könnte. Ebenso haben Pflegebedürftige durch das Grundgesetz das Recht auf Selbstbestimmung und können der Pflege durch ihre Kinder oder einen Angehörigen widersprechen.
Emotionale Pflicht
Die Frage nach der Pflicht zur Pflege der Eltern ist häufig geprägt von einer emotionalen Verbundenheit und dem Gefühl, dass ich als Kind die Pflege der Eltern übernehmen muss, weil sie mich aufgezogen und während der Kindheit und Jugend umsorgt haben. Was sich in der Theorie so selbstverständlich anhört, kann im Alltag durch den Beruf, die eigene Familie mit Kindern oder die geografische Distanz zu einer großen Herausforderung werden. Während die einen argumentieren, man schulde den Eltern nicht, das eigene Leben für ihre Pflege aufzugeben, sehen die anderen in der Pflege der Eltern die Chance, etwas zurückzugeben und wertvolle Erinnerungen zu schaffen. Nicht zuletzt sollte mit Blick auf die Entscheidung, ob man die Eltern pflegen sollte, auch das eigene Wohlbefinden beziehungsweise die eigene Gesundheit eine Rolle spielen.
Ethische Pflicht
Aus ethischer Sicht ist die Entscheidung für die Pflege der Eltern meist motiviert durch das Gebot der Nächstenliebe und bestimmten Familienwerten, wie Zugehörigkeit und Verantwortung füreinander. Am häufigsten engagieren sich allerdings Frauen in der Pflege von Angehörigen, was wiederum kritisch betrachtet wird, denn dahinter steht ein gesellschaftliches Wertesystem, in dem Töchter dazu tendieren, die Pflege der Eltern als eine Pflicht anzusehen. Besonders diese Frage nach der Pflicht, die man als Kind gegenüber seinen Eltern verspürt, wird vielseitig diskutiert. So lässt die Tatsache, dass man als Kind nicht gefragt wurde, ob man gezeugt werden will, für Kritiker den Schluss zu, dass man dementsprechend auch keine Bringschuld den Eltern gegenüber hat. Es fließen also nicht nur persönliche, sondern auch gesellschaftliche Werte – bewusst oder unbewusst – in die Entscheidung hinein, ob ich die Pflege der eigenen Eltern übernehmen muss. Die Freiheit über diese Entscheidung hat in Deutschland zumindest jeder per Gesetz.
Ab wann muss ich für die Pflege meiner Eltern aufkommen?
Die Kosten für Pflegeleistungen sind in den letzten Jahren stetig angestiegen. Die Pflegekassen zahlen jedoch nur einen Teil der Pflegekosten, wodurch ein Eigenanteil für Pflegebedürftige bleibt. Je nach Pflegegrad bekommen Pflegebedürftige zwar ein monatliches Pflegegeld, um zum Beispiel ambulante Pflegeaufwendungen zu bezahlen, das deckt allerdings nicht die vollen Kosten. Besonders teuer wird es, wenn Pflegebedürftige dauerhaft in einer stationären Pflegeeinrichtung betreut werden. Abhängig vom Bundesland und der Einrichtung fallen auf den Eigenanteil für das Pflegeheim durchschnittlich 26.976 Euro pro Jahr. Bei diesen hohen Kosten stellt sich die Frage, ab wann ich für die Pflege meiner Eltern aufkommen muss? Wenn keine private Pflegezusatzversicherung abgeschlossen wurde, müssen die Kosten zunächst aus dem eigenen Vermögen des Pflegebedürftigen getragen werden. Wenn ein Pflegebedürftiger den Eigenanteil nicht selbst zahlen kann, wird der Ehepartner herangezogen. Sollte dies nicht möglich sein, übernimmt der Sozialhilfeträger die Kosten. Kinder können allerdings unter bestimmten Voraussetzungen zum Unterhalt der Eltern verpflichtet werden (Elternunterhalt), wenn sie ein Bruttojahreseinkommen von mehr als 100.000 Euro (je Kind, ohne Einkommen des Ehepartners) haben.
Wie geht man mit Geschwisterstreit bei der Pflege der Eltern um?
Die Pflege der Eltern bringt zeitlich und emotional eine große Belastung mit sich. Da ist es hilfreich, wenn Geschwister sich die Aufgaben teilen können. Nicht selten kommt es allerdings zu Geschwisterstreit bei der Pflege der Eltern. Während der eine auf Grund der räumlichen Distanz oder dem Beruf keine Möglichkeit findet, vor Ort auszuhelfen, fühlt sich der andere zunehmend überfordert und im Stich gelassen. Auch die gleichberechtigte Aufteilung der anfallenden Pflegekosten ist ein häufiger Grund für Geschwisterstreit. Nicht zuletzt können Meinungsverschiedenheiten über die Wahl der geeigneten Pflegemaßnahmen oder einer Pflegeeinrichtung zu Konflikten führen.
In solchen Situationen ist von allen Beteiligten besondere Rücksicht und Verständnis gefordert – allein schon zum Wohle des pflegebedürftigen Elternteils. Besonders hilfreich kann es sein, wenn sich bereits zu Beginn der Pflegesituation alle an einen Tisch setzen (auch der pflegebedürftige Elternteil, wenn möglich) und schriftlich festhalten, welche Aufgaben jeder einzelne leisten kann und wie man sich im Notfall gegenseitig unterstützt. Mögliche Verantwortungsbereiche bei der Pflege der Eltern können sein:
- Einkauf
- Haushalt
- Maßnahmen der Körperhygiene und der allgemeinen medizinischen Versorgung
- Organisation ambulanter oder teilstationärer Pflegehilfe (Tages-, Nacht- oder Kurzzeitpflege) oder therapeutischer Maßnahmen
- Finanzen
- Anträge und Korrespondenz mit Pflegekasse oder Rentenversicherung
- Pflegekasse
- Sozialhilfeverbände, wie Caritas
- Familienmediation
- In rechtlichen Belangen: zum Beispiel Anwalt für Erbrecht
TIPP
Sprechen Sie schon frühzeitig mit Ihren Eltern über die Notwendigkeit für eine persönliche Pflegevorsorge. In unserer Webinar-Serie „Plötzlich Pflegefall – Vermögen, Vollmachten, Vorsorge“ informieren wir Sie kostenlos rund um das Thema.
Gibt es einen Anspruch auf Sonderurlaub bei der Pflege der Eltern?
Der Pflegefall trifft oft ganz plötzlich und unerwartet ein. Dann heißt es erst mal, für die Eltern da sein und alle notwendigen Maßnahmen organisieren. Damit Sie sich auch langfristig um wichtige Angelegenheiten bei der Pflege Ihrer Eltern kümmern können, stehen Ihnen als sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter verschiedene Möglichkeiten für einen Sonderurlaub zur Verfügung.
Kurzzeitige Arbeitsverhinderung und Pflegeunterstützungsgeld
Um in einer akuten Pflegesituation die notwendige Pflege weiterhin zu gewährleisten, können Angestellte bis zu zehn Arbeitstage ihrer Arbeit fernbleiben. In dieser Zeit haben pflegende Angehörige ein Anrecht auf Pflegeunterstützungsgeld, das als Lohnersatzleistung gezahlt wird und 90 Prozent des monatlichen Nettoeinkommens beträgt.
Pflegezeit und Familienpflegezeit
Als Beschäftigter in einem Betrieb mit mehr als 15 Mitarbeitern steht pflegenden Angehörigen eine Pflegezeit für die häusliche Betreuung von nahen Angehörigen zu. Die Pflegezeit kann eine Dauer von bis zu sechs Monaten betragen und ist eine vom Arbeitgeber nicht bezahlte Freistellung – voll- oder teilweise. In einem Betrieb mit weniger als 15 Mitarbeitern erfolgt die Bewilligung der Pflegezeit von Seiten des Arbeitgebers auf freiwilliger Basis. Die Familienpflegezeit kann für eine Dauer von bis zu 24 Monaten in Anspruch genommen werden, mit einer Mindestarbeitszeit von 15 Stunden pro Woche. Sowohl für die Pflegezeit als auch die Familienpflegezeit besteht ein Anspruch auf ein zinsloses Darlehen, was beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BaFzA) beantragt werden kann.
Was mache ich, wenn ich meine Eltern nicht pflegen will?
Auch wenn es vom Gesetzgeber keine Pflicht für Kinder gibt, ihre Eltern zu pflegen, bleibt den Nachkommen häufig nichts anderes übrig, denn das Pflegesystem in Deutschland ist mit der zunehmenden Anzahl an Pflegebedürftigen überfordert. Lange Wartelisten für Pflegeheimplätze und hohe Kosten für den Eigenanteil an Pflegeleistungen machen eine Unterstützung der Kinder bei der Pflege der Eltern oft unumgänglich.
Doch was, wenn ich als Kind meine Eltern nicht pflegen will? Die Gründe dafür können verschieden sein:
- psychische und physische Belastung ist zu hoch
- schlechtes Familienverhältnis
- Karriere
- Familienplanung und Zukunftspläne
Häufig ist es die Aussicht auf den Verlust der eigenen Freiheit und die psychische Belastung – vor allem bei der Pflege Demenzkranker oder körperlich stark beeinträchtigter Pflegebedürftiger –, die Kinder vor der Pflege der eigenen Eltern zurückschrecken lässt. Das ist ganz normal. Wichtig ist dann, sich nicht zu verschließen, sondern aktiv Hilfe und Unterstützung zu suchen. Hier ein paar Tipps:
- Gespräche über die eigenen Ängste innerhalb der Familie oder mit Freunden
- Beratung durch Pflegekasse zu Entlastungsangeboten für pflegende Angehörige
- Austausch mit Gleichgesinnten in Gesprächsgruppen und Online-Foren
- Angebote der Tages-, Nacht- und Kurzzeitpflege für den Pflegebedürftigen wahrnehmen
- Beratung und Hilfsangebote der Sozialverbände: zum Beispiel Hausbesuch der Caritas für Pflegetipps oder Spielenachmittag für Demenzkranke der Kirche
- Über finanzielle Unterstützung und Zuschüsse bei der Pflegekasse, dem Amt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben oder dem Sozialamt informieren.
Tipp
Für den Pflegefall finanziell vorsorgen: Starten Sie schon frühzeitig mit Ihrer privaten Pflegevorsorge durch eine private Pflegezusatzversicherung. Welche Möglichkeiten es gibt, verraten wir Ihnen in unserem Beitrag „Gute Gründe, warum eine Pflegezusatzversicherung sinnvoll ist“.
Fazit
Die Anzahl der Pflegebedürftigen in Deutschland nimmt stetig zu. Das stellt vor allem Kinder vor die Frage: "Muss ich meine Eltern pflegen?" Eine gesetzliche Pflicht zur Pflege der Eltern gibt es nicht. Hohe Pflegekosten und das Gefühl emotionaler Verbundenheit veranlassen jedoch die Mehrheit der Kinder dazu, die Pflege der Eltern selbst zu übernehmen. Das kann eine große physische, psychische und auch finanzielle Belastung sein. Wenn die Eltern die hohen Pflegekosten nicht selbst tragen können, müssen Kinder unter bestimmten Voraussetzungen im Zuge des Elternunterhalts für die Kosten aufkommen. Unterstützungsangebote, wie Tages- oder Nachtpflege sowie Hilfe und Beratung durch die Pflegekasse oder Sozialverbände können den Alltag pflegender Angehöriger erleichtern. Wenn ich meine Eltern allerdings wirklich nicht pflegen will, gibt es alternative Möglichkeiten der ambulanten und stationären Pflege, um pflegebedürftigen Eltern trotzdem eine ausreichende Versorgung – und vielleicht sogar ein Stück Unabhängigkeit von der Familie – zu ermöglichen.
Wie Sie sich am besten auf den Fall der Pflege vorbereiten, erklären wir in unserer Video-Serie: